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Die Leinwand
des Lebens

Die eigenen Mauern lieben lernen und mit Farben anstreichen

Portrait: Illustratorin und Wandbild-Künstlerin in Sri Lanka

Marcelle ist die erste Person, die ich bei meiner Ankunft in Sri Lanka in der gemeinsamen Unterkunft kennenlerne. Sie stellt sich als Marce vor und macht hier zusammen mit ihrer guten Freundin auf unbestimmte Zeit Workaway – einen Auslandsaufenthalt organisiert über eine gleichnamige Online-Plattform, die es Menschen ermöglicht, für längere Zeit kostengünstig auf Reisen zu gehen. Ein paar Stunden tägliche Arbeit werden gegen freie Kost und Logis eingetauscht.
Marce trägt eine auffallende Brille (von denen sie mehrere besitzt), knallroten Lippenstift, große Reif-Ohrringe sowie eine Kappe. Sie wirkt nicht nur in ihrer Erscheinung wie ein lässiger und farbenfroher Vogel, auch ihre Persönlichkeit ist facettenreich, wie sich mit der Zeit herausstellt. Sobald andere Tourist:innen zusammenkommen und durcheinander reden, ist sie es, die sich entspannt zurücklehnt und das wilde Treiben beobachtet. Sie sagt nicht viel, gibt nicht ihren Senf zu allem und scheint auch nicht das Bedürfnis zu haben, ihre Meinung ständig kund tun zu müssen. Da stille Wasser bekanntlich tief gründen, weckt sie mein Interesse. Ich erfahre, dass sie in der Unterkunft die Wand des anliegenden Cafés bemalen wird. Als ich am nächsten Tag den kurzen Weg zum Café hinunterlaufe, sehe ich Marce bereits vor der Wand sitzen: Sie singt zur Musik, die aus einem kleinen Lautsprecher tönt und wippt mit ihrem Kopf zum Takt. Zwischendurch tunkt sie ihren Pinsel in eine Farbdose. Marce bemerkt nicht, dass ich schon hinter ihr stehe. Als sie mich erblickt, lächelt sie und reguliert die Musik auf ihrem Tablet runter. Sie ist dabei die Illustration eines Raben an der Wand, dessen Konturen bislang noch aus weißer Kreide bestehen, mit schwarzer Farbe zu bemalen. Farbkleckse sind in ihrem Gesicht sowie auf ihrer Kleidung verteilt. Im Laufe des Gesprächs sollen es noch mehr werden. Immer wieder nimmt sie ein paar Schritte zurück, neigt ihren Kopf schräg und begutachtet ihr Bild.

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„[...] Wir haben dauernd zusammen gemalt und Dinge bemalt: Häuser, Figuren, Leinwände, Dekorationen etc. Also waren schon immer sehr viel kreative Menschen um mich herum. Somit bin ich in dieser kreativen Welt aufgewachsen.“

Südafrika: Kreative Einflüsse
Marcelle Dominique Versteeg (29) ist in Johannesburg, in Südafrika geboren. In den ersten Jahren ihrer Kindheit zieht ihre Familie oft um – einen beständigen Wohnsitz gibt es nicht. Ihr letzter Wohnort ist Jeffreys Bay, Eastern Cape. Das Zeichnen und Malen fängt sie in frühen Jahren an. „Ich habe schon immer gemalt und mich gerne kreativ betätigt“, erzählt Marce. Ihre Mutter ist Innenarchitektin und ihre Tante Künstlerin. „Auch mein Vater hat mit seinen Händen immer etwas gebaut und hergestellt. Wir haben dauernd zusammen gemalt und Dinge bemalt: Häuser, Figuren, Leinwände, Dekorationen etc. Also waren stets sehr viel kreative Menschen um mich herum. Somit bin ich in dieser kreativen Welt aufgewachsen“, schildert Marce ihr Heranwachsen. Ziemlich schnell ist ihr klar, dass sie Grafikdesign studieren will, um Illustratorin zu werden. Ihr Studiengang begeistert sie, doch Südafrika langweilt sie mit der Zeit. Der Ruf in die weite Welt und diese zu entdecken wird parallel zur wachsenden Eintönigkeit in der Heimat lauter. Das letzte Mal, dass sie in ihrem Heimatland war, ist jetzt vier Jahren her. Ihre Mutter und Schwester sind noch in Südafrika, ihr Vater lebt in Mosambik. „Ich vermisse meine Eltern, aber es gab in Südafrika nicht genug für mich, um dort zu bleiben. Diesen Lifestyle den ich jetzt führe, möchte ich nicht mehr hergeben. Ich bin jetzt noch nicht bereit zurückzukehren“, erläutert Marce auf die Frage, ob sie Heimweh empfindet. Sie zupft immer wieder an ihren zwei schwarzen geflochtenen Zöpfen, rückt ihre Brille zurecht und blickt auf ihre Wandillustration.
Für eine längere Zeit im Ausland zu leben und zu reisen, scheint für viele aus finanziellen Gründen nicht machbar. Doch durch Workaway kann Marce ihren Traum realisieren. „Ich bin nicht reich aufgewachsen, meine Eltern waren getrennt und wir hatten nicht viel – es gab keine richtige Familienstruktur“, schildert Marce und ist dankbar, dass ihr diese Art von Tätigkeit das Langzeitreisen in der Ferne ermöglicht. Sie lernt folglich früh wie es ist, keine feste Heimatbasis zu haben. Der häufige Unterkunftswechsel auf Reisen fällt ihr somit leicht. Ihr gefällt es sogar, die Zimmer in den unterschiedlichen Unterkünften immer wieder aufs Neue einzurichten.

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„[…] Ich kann einfach nicht etwas tun, das mich nicht begeistert.“

Korea und Vietnam
Marce bricht schließlich mit 24 Jahren aus. Es verschlägt sie gemeinsam mit ihrem damaligen Freund nach Korea – das erste Mal in der Ferne, ein ihr vollkommen fremdes und exotisches Land. Es gestaltet sich aufgrund des Arbeitsvisums als einfach, dort eine Lehrkraft für Englisch zu sein. Der Ruf zu entdecken hört nicht auf: Nach einem Jahr reisen beide weiter nach Vietnam – hier bleibt sie allerdings länger als geplant (fünf Jahre), was größtenteils durch Covid-19 bedingt ist und arbeitet weiterhin als Englisch-Lehrerin. Die Arbeit entpuppt sich jedoch als völlige Fehlentscheidung: Sie fühlt sich in ihrer Rolle als Autoritätsperson, die von ihr abverlangt wird, nicht wohl. Die Tätigkeit entspricht gänzlich nicht ihrer Leidenschaft sowie ihrem Naturell. „Die Arbeit war schlimm für mich. Die Kinder haben mich nicht ernst genommen und ich wollte lieber eine gute Freundin sein, anstatt eine strenge Lehrerin“, schildert Marce schwermütig. Die vietnamesischen Lehrkräfte hätten kein Verständnis dafür aufgebracht, dass sie einen anderen Ansatz im Unterricht integrieren möchte, um die Teenager zu erreichen. „Das Unterrichten hat mich nicht ausreichend erfüllt. Ich war unglücklich mit dem was ich machte, dass ich einfach keinen Sinn mehr darin gesehen habe. Ich kann einfach nicht etwas tun, das mich nicht begeistert“, schildert Marce rückblickend und legt eine Pause ein. „Wenn das Unterrichten nicht deine Leidenschaft ist, dann kann das ziemlich intensiv und zäh werden“, fügt sie hinzu. Sie hört auf zu unterrichten und erhält schließlich ein Angebot für die Gestaltung von englischen Textbüchern von der Institution, für die sie arbeitete. Danach ist sie als Illustratorin für verschiedene Kunden und Animationsfirmen in Südafrika tätig.

„[...] Und dann habe ich eine Entscheidung getroffen, etwas zu ändern.“
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Stillstand
„Mein Leben ist schon seltsam. Die Dinge geschehen irgendwie für mich. Wenn sich die Dinge für mich nicht mehr richtig anfühlen und in die falsche Richtung gehen und ich einmal beschlossen habe, das etwas nicht mehr für mich funktioniert, dann entfaltet die Welt Räume für mich, das zu machen, wofür ich eigentlich bestimmt bin – es ist wie Manifestation“, beschreibt Marce ihren Entwicklungsverlauf. Um diese Manifestation deutlicher zu machen, schildert sie ihr vermeintliches Visa-Problem in Vietnam: Mit ihrem Arbeitsvisum kann sie nicht länger im Land bleiben. Zu dem Zeitpunkt hat sie einen Vollzeitjob für eine Illustrations- und Animations-Firma in Südafrika. Sie wird folglich vor die Wahl gestellt, entweder einen Job in Vietnam anzunehmen oder auszureisen. „Ich war noch nicht bereit, das Land zu verlassen, weil ich keinerlei Pläne hatte, was ich als nächstes tun sollte“, schildert Marce. Sie bleibt also in ihrer Komfortzone und nimmt wieder einen Job als Lehrerin an und kündigt ihren Vollzeitjob als Illustratorin – somit war das Visa-Dilemma erst einmal gelöst, aber nicht jedoch ihr Seelenplan. Das Online-Unterrichten fühlt sich noch befremdlicher als zuvor an. „Ich hatte das ja schonmal gemacht und ich mochte es einfach nicht – das sollte ich einfach nicht machen“, erklärt Marce kopfschüttelnd über sich selbst. Sie begibt sich wieder in eine Situation, von der sie weiß, dass es sie unglücklich macht. Es ist das kurzweilige Gefühl der Sicherheit, das langfristig jedoch keine Befriedigung schafft: Unsicherheit und Misstrauen bezwingen Urvertrauen. Durch den aus Covid-19 gefolgten Lockdown, ist sie in Vietnam buchstäblich eingesperrt mit einem Job, der sie runterzieht und einem Partner, von dem sie sich entfernt hatte – alles um sie herum scheint wie eine graue und viel zu hohe Mauer, sodass ihr Weitsicht sowie Perspektive fehlen. „Ich hatte das Gefühl völlig zu stagnieren. Während dieser Phase habe ich aber einfach angefangen die Wand meiner Wohnung zu bemalen – das war vor ein paar Monaten. Und dann habe ich eine Entscheidung getroffen, etwas zu ändern“, beschreibt Marce. Sie kündigt schließlich den Lehrerjob, verlässt ihren Freund und entscheidet Workaway zu machen – egal wohin. Sie durchbricht die Mauern ihrer Schwermut in jenem Moment, wo sie ihre eigene Hauswand mit Farbe streicht und entscheidet sich daraufhin für Sri Lanka. „Alles passiert in Wahrheit für dich. Aber du musst zu dem Punkt kommen, um stark genug zu sein, damit du dir selbst erlaubst, die Dinge loszulassen, die dir total Angst einjagen. Du musst deine Ängste überkommen“, schildert Marce und ist stolz, dass sie ihre eigenen Wände durchbrochen und die illusorische Komfortzone verlassen hat. Sie ist auf dem Inselstaat im Indischen Ozean gelandet, nur weil alles damit anfing, aus der völligen Stagnation und Monotonie heraus, eine Mauer in ihrer Wohnung zu bemalen. Dabei realisiert sie: „Das ist meine Passion. Ich will kreativ sein“, strahlt Marce.

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„[...] Wenn ich mich wohlfühle und es mir gefällt, dann möchte ich diesen Ort noch schöner gestalten und mich auf diese Art für die Zeit bedanken - meine Wertschätzung ausdrücken.“

Mission: Wandbemalung und Geben
Es ist die erste Woche für Marce auf Sri Lanka. Sie will nicht nur Land sowie Leute kennenlernen und tief in die Kultur eintauchen – sie verfolgt auch eine Mission: Sie möchte die Wände und Mauern an den jeweiligen Orten, wo sie sich aufhält, bemalen und verschönern. Hier in der Unterkunft soll es ein Rabe werden, der ein Surfboard unter seinen Flügeln trägt. Über dem Raben stehen die Wörter „Hari Hari“. Sie bedeuten auf Singhalesisch so viel wie „ok, ok“ oder „in Ordnung“. „Es ist das erste singhalesische Wort, das ich hier gelernt habe und überall um mich herum höre ich Menschen das sagen. Ich mag den Klang und wie es verwendet wird, das ist cool. Und außerdem sind hier einfach so viele Raben die ständig krähen“, lacht Marce und wirkt dabei recht entspannt und frei. In ihrer Umgebung findet sie Inspiration. Zusammen mit ihrer Intuition und ihrem Umfeld geht sie in Co-Kreation, wobei sie sich nicht nur kreativ ausdrückt, sondern auch ihren Beitrag zur Marke bzw. zum Image eines Ortes beiträgt. Laut Marce sei eine Marke so viel mehr, als nur die Intention Menschen anzulocken oder Umsatz zu erzielen. Es gehe nicht darum einen Ort zu vermarkten, sondern um ein Leitbild und das warum zu verstehen – aus welchen Intentionen heraus und wie man angefangen hat ein Business ins Leben zu rufen. „Meist entstehen kleine Unternehmen aus der Leidenschaft heraus zu dem was sie tun. Und das möchte ich gerne ästhetisch unterstützen, indem ich den Ort visuell verschönere – auf meine Art und Weise“, erläutert Marce. Bislang hat sie immer die Besitzer:innen von Bars, Cafés oder Unterkünften gefragt, ob sie dessen Außenwände bemalen darf. Sie betrachtet die Wandkunst als eine Art „Esprit“ des Ortes, wo sie sich aufhält. Dieser inkludiert den oder die Inhaber:in des Geschäfts sowie die Mitarbeiter:innen, die dort mithelfen und für ein Wohlgefühl sorgen. „Die ganze Atmosphäre in einer Ortschaft muss ich fühlen. Wenn ich mich wohlfühle und es mir gefällt, dann möchte ich diesen Ort noch schöner gestalten und mich auf diese Art für die Zeit bedanken meine Wertschätzung ausdrücken“, erläutert Marce.
Sie sitzt insgesamt vier Tage an der Wandillustration: Nach dem Frühstück macht sie sich umgehend mit einer Kaffeetasse in der Hand an ihr Kunstwerk und verlässt dieses erst wieder, wenn die Dunkelheit einbricht und sie die Kolorierungen und Konturen nicht mehr unterscheiden kann. Es ist bereits ihr viertes Wandbild. Das Erste war ein Experiment in Vietnam – aus diesem ist eine konkrete Mission entstanden, weitere Wandbilder zu gestalten. Sie geht wieder ein paar Schritte zurück, geht wieder zur Wand, feinjustiert an manchen Stellen und nimmt ein trockenes Tuch, um die tropfende Farbe sorgfältig abzutupfen. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, Wände zu bemalen – insbesondere nicht in fremden Ländern. Es scheint ihr selbst ein zu großes Vorhaben zu sein. Doch mit jedem neuen Wandbild, wächst auch ihr Selbstvertrauen. Marce mag es bei dieser Arbeit ganz bei sich selbst zu sein und genießt den Entstehungsprozess. Diese Tätigkeit hat etwas sehr Belohnendes: Es ist auf der einen Seite eine angenehme individuelle Beschäftigung, die innere Einkehr ermöglicht, und auf der anderen Seite verbindet ihr Kunstwerk, indem es Menschen zusammenbringt. Ab und zu kommen Leute vorbei, bleiben stehen, betrachten das Bild und man kommt ungezwungen ins Gespräch – es ist eine herzliche, wenn auch kurze zwischenmenschliche Interaktion.
Während sie sauber ihre Pinselstriche an der Wand aufträgt, erzählt Marce, dass sie sich manchmal in Gedankenstrudel verfange. Sie überdenke vieles und wenn sich die Gedanken in eine negative Laufbahn verirren, habe sie Schwierigkeiten Abstand zu gewinnen. „Wenn ich male, dann endet diese Spirale und es hilft mir Gedankenschleifen zu durchbrechen und zu kanalisieren. Die Arbeit entspannt mich, sie ist meditativ“, schildert sie. Der Kollektivgedanke ist ihr Antrieb, etwas zurückzugeben und einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten: „Ich fühle mich durch diese Ausdrucksweise mehr als ein Teil dieser Welt, wenn ich etwas hinterlasse und gleichzeitig etwas geben kann, anstatt nur eine Zeichnung für mich selber zu machen. Die Wandbemalung hat für mich irgendwie mehr Bedeutung“, unterstreicht Marce ihren Ansporn. Wenn sie sich eines Tages einen Namen in der Wandbild-Szene gemacht hat, hofft sie auf Aufträge. Ihr ist es jedoch wichtig, dass alles natürlich erfolgt und ihre Motivation stets von der eigenen Leidenschaft und nicht nur monetär angetrieben wird.

„Ich versuche die Dinge natürlich entfalten zu lassen, nicht zu sehr kontrollieren zu wollen. Früher wollte ich mehr Kontrolle und weniger Ungewissheit und ich habe gelernt das loszulassen.“
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Inspiration und Kreativität
Auf Reisen findet Marce Inspiration und versucht ihre Erfahrungen sowie kulturelle Elemente in ihre Werke zu integrieren. Sie mag Veränderungen – neue Umgebungen, Menschen sowie Einflüsse und hinterlässt dabei ihre eigenen bunten Spuren. Wenn sie eine passende Wand sieht, dann entsteht in ihrem Kopf oftmals ein Bild, was zu diesem Ort und zu den Menschen passen könnte. Wenn sie eine Idee konkretisiert, fragt sie den oder die Besitzer:in, ob er oder sie für ihren Vorschlag offen ist. Bekommt sie grünes Licht, macht sich Marce daran, ein Mockup auf ihrem Tablet zu erstellen. „Man muss aber auch für Veränderungen oder Vorschläge offen bleiben. Ich mag es gemeinsam mit Leuten zu arbeiten und zu kreieren“, betont Marce. Bei ihrem aktuellen Wandbild ist sie beispielsweise zusammen mit dem Inhaber der Unterkunft losgefahren, um verschiedene Farben sowie Utensilien zu kaufen. Solche Begegnungen und gemeinsame Aktionen lassen ein tieferes Gefühl der Verbundenheit zu den Einheimischen und dort lebenden Menschen entstehen, das weit über gewöhnliche Reiseerfahrungen hinausgeht. „Es ist eine authentische Art Sri Lanka und die Einheimischen intensiver kennenzulernen“, erläutert Marce wertschätzend. Als ich sie frage, warum sie sich konkret für Sri Lanka entschieden hat, antwortet sie, dass dort die Visaangelegenheiten für ein Workaway am besten gewesen seien, denn mit ihrem südafrikanischen Pass sei dies oftmals gar nicht einfach. Vietnam markierte zum Ende hin eine Phase, die von Stress, Unsicherheit und Unzufriedenheit dominiert war. Jetzt fühlt sie sich lebendig und leicht. Es herrscht keine Monotonie mehr, stattdessen Farben, Freude und Vielfalt. Sie zerbricht sich wegen ihres Jobs als Illustratorin auch nicht mehr den Kopf wie früher, denn sie vertraut darauf, dass ihr zu gegebener Zeit Möglichkeiten auftun werden. „Ich versuche die Dinge natürlich entfalten zu lassen, nicht zu sehr kontrollieren zu wollen. Früher wollte ich mehr Kontrolle und weniger Ungewissheit und ich habe gelernt das loszulassen“, erklärt Marce, die gerne als Freelancerin arbeiten möchte. Momentan weiß sie noch nicht, wie lange sie in Sri Lanka leben wird. Sie möchte auf jeden Fall noch ein paar Monate arbeiten, Wände bemalen und weiterziehen – wohin, das ist Sorge von Morgen.
Ein weiterer Aspekt, über den wir uns austauschen ist das Thema bezahlte Aufträge, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Kreativität sowie Inspiration ausüben. Diese können laut Marce schnell unternehmerisch werden, was bedeutet, dass am Ende durch den finanziellen Druck vom freien Schaffensprozess nicht mehr viel übrig bleiben könne. Aber das sei in Ordnung für sie, dies gehöre zum Spiel dazu. Sie achtet jedoch darauf, dass sie ihre persönliche Arbeit voranbringt und ist bemüht, eigene Ideen in Aufträge zu integrieren. Das Gefühl der Frustration und Leere als Lehrkraft möchte sie keinesfalls ein weiteres Mal zulassen. „Ich habe nicht mein Heimatland verlassen, um in einem 9-to-5- Job kleben zu bleiben und Arbeit zu machen, die mich nicht erfüllt“, betont Marce. „Das Zeichnen und Kreieren sind meine Passion. Es bedeutet für mich, zu arbeiten, obwohl es sich überhaupt nicht wie Arbeit anfühlt. Auch wenn du müde bist, dann genießt du es trotzdem und du hast kein Zeitgefühl mehr“, beschreibt Marce ihr Gefühl beim Illustrieren. Bezüglich ihrer Arbeit hoffe sie, dass all ihre jetzigen Bestrebungen sowie Investitionen in die eigene Kunst sich eines Tages auszahlen werden und sie stets von der Leidenschaft angetrieben wird. „Ich glaube ich werde niemals gelangweilt davon sein, Wände zu bemalen. Ich kann damit weitermachen, bis ich 80 Jahre alt bin“, schildert Marce, die lange nach den passenden Worten ringt: ihre eigene Arbeit auf einer großen Fläche eines Gebäudes zu sehen macht sie demütig. Marce benutzt das Wort „kreieren“ sehr häufig in ihren Ausführungen. Sie schätzt zwar die Natur, aber sie genießt auch die Stadtatmosphäre und möchte diese kreativ mitgestalten. „Ich mag es zwar auch im Dschungel umherzulaufen, oder am Strand zu spazieren, aber ich liebe es sehr durch die bunte Stadt zu gehen und mir die Kreativität von Menschen anzuschauen“, erläutert Marce. Kreativität bedeutet für Marce letztlich, die eigenen Lebenserfahrungen in Kunst zu verwandeln – der eigenen Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen und dadurch einen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten. Es geht dabei darum, fähig zu sein, das aufzunehmen, was man beobachtet und resultierend in die eigene Ausdrucksform bzw. Stimme zu verwandeln. Hier geht es explizit um Emotionen: „Du zeichnest was du erlebst in etwas was dich fühlen lässt – egal, ob es dich zum Lachen bringt oder dich traurig stimmt – es lässt dich fühlen“, erklärt sie. Grundsätzlich gefallen Marce alle Stilarten – sie ist nicht festgelegt und möchte ebenso von anderen Künstler:innen lernen. Sie setzt auf Kooperation statt Konkurrenz. Ihr Traum ist es, irgendwann Tätowierungen zu machen.

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„Die Entwicklung meiner Werke spiegelt meine Transformation wider. Das muss ich umarmen, dazu stehen und stolz darauf sein, wer ich geworden bin. Auch wenn ich einige meiner Arbeiten nicht mehr mag – das bin ich.“

Eine Stilfrage
Marce möchte sich nicht (evtl. wie manch andere Künstler:innen) auf nur einen Stil festlegen und probiert sich immer wieder neu aus. „Es hat für mich viele Jahre gebraucht, um mir diese Frage zu beantworten: ob ich auch einen konkreten Stil haben möchte mit Wiedererkennungswert oder ob ich eine Allround-Künstlerin sein möchte, die eigentlich alles zeichnen kann“, erläutert Marce. Sie ist gerade irgendwo dazwischen. „Weißt du, ich werde nicht für diese Wände bezahlt – es ist eher einfach mein Leidenschaftsprojekt und hiermit entwickle ich einen gewissen Stil für mich selbst“, veranschaulicht Marce ihre Intention. Wenn sie bei einem einzigen Stil bleibt, würde sich Langeweile und Eintönigkeit ausbreiten – das spielerische Herantasten und Ausprobieren mit anderen Designs und Techniken sowie Farbschemen sind der Treibstoff für ihren künstlerischen Schaffensprozess – ein Motor, der niemals zum Stillstand kommt. „Ich pushe mich daher stets selbst auch immer wieder neues auszuprobieren und neue Wege zu gehen“, betont Marce. Ihr Instagram-Kanal enthält viele unterschiedliche Illustrationen – eine ganze Palette an verschiedenen Zeichnungen. Sie gesteht mir, dass sie eigentlich ihre alten Bilder löschen möchte, weil diese jetzt nicht mehr ihren Ansprüchen entsprechen. Dennoch lässt sie diese Bilder bewusst auf ihrem Kanal, damit Menschen ihre Entwicklung sehen. Gleichzeitig möchte sie Anfänger:innen in dieser Szene ermutigen, um aufzuzeigen: Jeder fängt mal klein an. „Die Entstehung meiner Werke spiegelt meine Transformation wider. Das muss ich umarmen, dazu stehen und stolz darauf sein, wer ich geworden bin. Auch wenn ich einige meiner Arbeiten nicht mehr mag – das bin ich“, erläutert Marce. Damals hatte sie noch einen Minderwertigkeitskomplex was ihre eigene Arbeit angeht. Sie befand sich noch auf der Suche nach ihrem eigenen Stil, weil sie der Annahme war, dass sie diesen unbedingt brauche. „Ich dachte, dass ich niemals gut genug für das bin, was ich studiert habe oder wofür man mich bezahlt. Es brauchte seine Zeit, diese Denkart umzulernen“, gesteht Marce. Bereits im Studium wird sie von Lehrern oder von Vorgesetzten in Unternehmen für ihre Illustrationen kritisiert, bis sie irgendwann versteht, dass diese Bewertungen nichts mit ihr persönlich zu tun haben, sondern vielmehr damit, was diese Menschen für Vorstellungen und persönliche Präferenzen haben. Sie hat diese Überzeugung allen gefallen zu müssen eines Tages losgelassen. Laut Marce müsse man sich immer einen Ruck geben und das machen, was einem unangenehm ist. Zum Beispiel mochte sie es früher nicht, wenn jemand hinter ihr stand und beim Illustrieren zuschaute. Es habe sich nach Beurteilung angefühlt – Unwohlsein und Druck machten sich breit. Jetzt macht es ihr gar nichts mehr aus und sie bleibt locker. Das Schöne bei ihrer Arbeit ist, und das trifft eigentlich auf alle Bereiche zu, dass man nicht aufhört an dem was man liebt weiterzuarbeiten. Mit der Zeit wird die eigene Fähigkeit konstant besser – man entwickelt sich weiter, je mehr man ausprobiert: wegwischen, neu zeichnen, wegwischen, neu zeichnen.

„[…] Aber am Ende des Tages habe ich gemerkt: hey, ich lebe auch. Ich muss auch für mich selbst da sein.“

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Loslassen und Selbstverantwortung
Marce ist die Künstlerin sowie Gestalterin ihres Lebens. Sie wählt aus, welche Farben und welches Bild sie sehen will – im Leben, wie auch an der Wand. Ihre Gefühle und Gedanken projiziert sie dabei nach außen und lässt ihre Mitmenschen daran teilhaben. Wenn sie am Ende des Tages ein Bild auf der Wand gemacht hat, ist sie zufrieden und zutiefst erfüllt. Denn sie hat etwas, worauf sie zurückblicken kann. Wenn das Bild eines Tages übermalt wird, dann bleibt die Erinnerung in ihr. „Dieses Bild bleibt hier und ich ziehe weiter. Und auch wenn dieses Bild nicht ewig währt, weiß ich, dass ich weitere Kunst machen werde“, lacht Marce. Was ihre eigene Kunst angeht, fällt ihr das Weitergehen sowie Loslassen nicht schwer, aber wenn es um die Liebe geht, ist es etwas verworrener.
Ich erfahre, dass sich Marce in einer 10-jährigen Beziehung befand. Als sie 19 Jahre ist, kommt sie mit ihrer Jugendliebe zusammen. Sie trennt sich wenige Monate kurz bevor sie nach Sri Lanka reist. Sie will aus ihrem festgefahrenen Leben ausbrechen – schafft es jedoch anfänglich nicht. Ihr fehlt der Mut die Beziehung zu beenden. Ihre innere Stimme flüstert ihr immer wieder zu, zu gehen. Ihr Partner ist derjenige, der ihre gemeinsame Beziehung nach einem Jahrzehnt schließlich beendet, weil er spürt, dass sie mental nicht mehr anwesend ist. „Ich war nicht mutig genug, diese Beziehung selbstständig zu beenden. Ich habe gelernt, wie sehr ich mich an den Zustand innerhalb einer Beziehung gewöhnt habe“, schildert Marce rückblickend. Ihre größte Erkenntnis: Entscheidungen treffen, die ihr selbst dienen. Heute weiß Marce, dass sie richtig ist, so wie sie ist. Sie braucht keine Beziehung, um sich vollständig zu fühlen. Sie wählt Selbstsicherheit und Selbstliebe statt Unsicherheit sowie Angst. „Ich hatte permanent das Gefühl, dass ich Leuten helfen muss, ihre Gefühle zu ordnen und ständig für sie da sein zu müssen. Aber am Ende des Tages habe ich gemerkt: hey, ich lebe auch. Ich muss auch für mich selbst da sein“, erklärt sie. Dies zu erkennen, kann ein anstrengender sowie schmerzvoller, aber lohnenswerter Entwicklungsprozess sein. Dennoch bereut Marce ihre Erfahrungen keineswegs, denn alle unangenehmen Situationen und Tiefschläge haben ihr geholfen als Person zu wachsen. Mehrere Tattoos zieren ihre Arme, wobei die Schriftzüge auf ihren Oberschenkeln besonders auffällig sind: „Unpack“ und „Unlearn“. Diese Bezeichnungen stammen aus der Psychologie. Erstmalig ist sie durch den südafrikanischen Komiker Loyiso Gola und dessen Stand-up Comedy Show auf diese Termini aufmerksam geworden.

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Exkurs: Bedeutung  von Unpack und Unlearn

Wir alle tragen Gedankenmuster, Konditionierungen, alte willkürliche Prägungen oder Dogmen in uns, um im gesellschaftlichen System unseren Platz zu finden. Wir passen uns an, um miteinander bestmöglich auszukommen und in Harmonie nebeneinander zu koexistieren. Oftmals sind wir uns unseren Konditionierungen jedoch nicht bewusst – wir haben sie einfach übernommen, um „zu überleben“. Dabei ist unser Bedürfnis nach Bindung und Sicherheit sowie Autonomie und Freiheit ebenso essentiell – beides sind psychische Grundbedürfnisse. Das Gleichgewicht hier zu bewahren kann herausfordernd sein. Die ersten Lebensjahre sind essentiell für uns. Unsere nächsten Bezugspersonen – in den meisten Fällen unsere Eltern – sind unsere Vorbilder und prägen uns. Aufgrund unseres evolutionären und intrinsischen Überlebensmechanismus sowie Schutzinstinkts, haben wir gelernt, uns bestmöglich anzupassen und Glaubenssysteme verinnerlicht, um zu überleben. Das Auspacken bezieht sich hierbei auf das Bewusstwerden dieser übernommenen Konditionierungen. Hier gilt es die eigenen Glaubenssysteme zu hinterfragen und aufzulösen („auszupacken“). Zum Beispiel beim Thema Anpassung: Wenn ein Kind bei strengen Eltern aufgezogen wurde, kann es passieren, dass das Kind seine Gefühle, wie beispielsweise Wut unterdrückt, denn es hat gelernt „immer lieb und artig zu sein“. Im Erwachsenenalter kann sich die Person folglich schlecht abgrenzen, ist sehr harmoniebedürftig, versucht es allen recht zu machen und ist daher äußerst angepasst. Der verinnerlichte Glaubenssatz könnte hier zum Beispiel lauten: „ich muss immer artig und still sein“ oder „ich muss gefallen und darf nicht enttäuschen“. Hier gilt es in die Selbstreflexion zu gehen, die Wurzel zu erkennen und zu eruieren, woher mögliche Triggerpunkte herrühren und ob diese eventuell von den Eltern oder anderen Bezugspersonen verursacht wurden. Das Umlernen erfolgt, wenn das „Auspacken“ stattgefunden hat und der Ursprung für negative Emotionen enthüllt wurde. Erst durch Erkenntnis sowie Bewusstheit seiner eigenen Glaubenssysteme, ist man auf der nächsten Ebene fähig seine Konditionierungen abzulegen und sich neue Glaubenssätze anzueignen. Dieser Prozess erfordert ein immer wieder aufrichtiges und ehrliches Hinschauen seiner Gefühlswelt. Die wohl bekannteste deutsche Psychotherapeutin und Diplom-Psychologin Stefanie Stahl pflegt ein Mantra: „Ertappen und Umschalten“, was in etwa auf diese Terminologie aus der Psychologie zutrifft. Hier geht es darum, sich mit den Fragen zu beschäftigen: Warum reagiere ich so? Warum fühle ich mich gerade schlecht? Warum triggert mich das jetzt? Und sich dann anschließend freundschaftlich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, negative sowie fremde Glaubenssätze zu erkennen und loszulassen.
Quellen:
Stahl, S. (2015). Das Kind in dir muss Heimat finden (24 Aufl.). Kailash Verlag
Loyiso Gola: Unlearning: www.netflix.com


„Hast du erst einmal erkannt, dass eine gewisse Sache nicht deine eigene Wahrheit ist, kannst du eine ehrliche und authentische Version von dir selbst sein.“

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Marce nimmt sich immer wieder die Zeit und den Raum durch den oben aufgeführten Reflexionsprozess zu gehen und ihre eigene Wahrheit anzuerkennen, wenn sie sich mit einem Problem konfrontiert sieht. Immer wieder ertappt sie sich dabei, dass sie „Fremd-Wahrheiten“ aus ihrer Erziehung oder vergangenen Erfahrungen verinnerlicht hat, die nicht zu ihrem Wesen gehören. „Hast du erst einmal erkannt, dass eine gewisse Sache nicht deine eigene Wahrheit ist, kannst du eine ehrliche und authentische Version von dir selbst sein“, reflektiert Marce. So ein Glaubenssatz versteckte sich zum Beispiel in ihrer Erwartungshaltung bezüglich der Beziehung: Ich bin nur in einer Beziehung vollständig und erfüllt. Eine lange Zeit denkt Marce, dass sie nur glücklich sein kann, wenn sie einen Partner hat. Ihre Vorstellung ist romantisch idealisiert – beeinflusst von Liebesfilmen, Literatur sowie der Erwartungshaltung der Gesellschaft. Die Tatsache, dass es sich für sie seit langem nicht mehr richtig anfühlt, sie sich in eine andere Richtung bewegt sowie eigene Träume verfolgt, konnte sie anfangs nicht erkennen und akzeptieren. „Man wird stark von der Gesellschaft beeinflusst, was als ‚richtig‘ erachtet wird – das tun wir alle irgendwie. Und ich versuche mich nicht mehr so sehr beeinflussen zu lassen“, schildert Marce. Sie war mutig genug, etwas tiefer zu buddeln und eine Wurzelbehandlung vorzunehmen, um zu verstehen, woher ihre Verhaltensmuster rühren. Die Tattoos gelten als Erinnerungsstütze und ermutigen sie stets, sich selbst treu zu bleiben. Marce hat in den letzten Monaten nach Beendigung der Beziehung ihren Selbstwert wieder erkannt. „Man muss sich selbst erlauben geliebt zu werden, damit man auch Liebe geben kann. Als erstes musste ich bei mir selbst anfangen“, erklärt Marce. Mit der Zeit hat sie gelernt, die Meinungen sowie Bewertungen anderer über sie loszulassen. Auf ihrer bisherigen Reise erfindet Marce sich komplett neu. Sie selber hätte nicht für möglich gehalten, dass sie sich so entspannt unter anderen Menschen fühlen würde, da sie sich selbst in der Vergangenheit als ziemlich introvertiert und unsozial eingeschätzt hat. „Es ist Wahnsinn, inwieweit man sich innerhalb von ein paar Wochen verändern und wachsen kann. Ich fokussiere mich nicht mehr darauf, was ich nicht kontrollieren kann, sondern einfach wie ich mich fühle. Ich gehe mit dem Flow.“ Ihre Einstellung überträgt sich auf ihre Kunst: Bei den Wandbildern forciert sie ebenfalls nichts und hat auch oft nicht direkt eine Vorstellung von dem, was sie konkret zeichnen will – es entsteht einfach und dabei vertraut sie auf ihre Emotionen, die sie leiten. Das Ende soll bei allem immer offen bleiben.

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„[...] Was wäre das Leben denn ohne Sinn für Humor?“

Humor und Fußabdrücke
Marce hat nicht nur gelernt, unangenehme Situationen mit mehr Leichtigkeit zu begegnen, sondern vor allem vieles mit ein wenig Humor aufzufassen – das hilft, um die Dinge mit Distanz zu betrachten. Natürlich sind viele ihrer Erfahrungen schmerzvoll und ihr Entwicklungsprozess bis hierhin steinig, doch sie rät jedem, einen gewissen Sinn für Humor an den Tag zu legen, denn das Leben sei letztlich viel zu kurz und schön, um sich zu ärgern. „Versuche einfach jeden Tag dein Bestes zu geben, dann kann nichts schief gehen. Was wäre das Leben denn ohne Sinn für Humor?“, lacht Marce. Dem habe ich nichts hinzuzufügen und schweige. Ich beobachte, wie sie ihre letzten Pinselstriche an der Wand tätigt. „Weißt du, Leben kann leidvoll sein, aber wenn du alles mit etwas Humor betrachtest, sogar auch das Leiden selbst, dann kann alles überwunden werden. Es liegt an dir“, fügt Marce hinzu. Sie versucht in ihren Illustrationen beständig humoristische Elemente einzubinden, denn am Ende möchte man laut ihr etwas anschauen, das man genießt und das einem ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Es ist letztlich alles eine Frage der eigenen Wahrnehmung und Perspektive. Marce hat ihr altes Leben hinter sich gelassen und entschieden in den Fluss des Lebens zu springen und lässt sich entspannt in die Welt hinaus gleiten. Einen Rettungsring braucht sie nicht mehr – sie hat angefangen, selbst zu schwimmen und vertraut auf sich und das Leben. „Es kommt alles zu dir, wenn du dir selbst erlaubst, dass die Dinge geschehen“, sagt Marce abschließend. Die letzten kosmetischen Schönheitsfehler werden noch an der Wand korrigiert, bevor sie ihre Farbutensilien einpackt, die Musik ausmacht und in ein paar Tagen an einen anderen Ort weiterzieht. Das Bild ist ein Dankeschön und ein Auf Wiedersehen zugleich. Was bleibt: Ein Fußabdruck – ein Moment voller Hingabe sowie Freude und das Wissen, die Welt ein bisschen bunter, heller und freundlicher zu hinterlassen.



Text und Foto: Katharina Hahn
Fotobearbeitung: Johannes Hahn (Webseite, Instagram)
Veröffentlichung: 15.02.2022

​Mehr Infos zu Marcelle D. Versteeg: cella_marcy

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